
Interview mit Herrn Witt
Seit 1991 berät, begleitet und versorgt der ambulante Hospizdienst DaSein e.V. sterbende Menschen zu Hause, in Pflegeheimen, in Krankenhäusern und Einrichtungen für betreutes Wohnen. Und auch bei uns, im RosenGarten und in den Wohngemeinschaften, ist DaSein unser Ansprechpartner, wenn es darum geht, Sterbende und ihre Familien zu begleiten und im Vorfeld Absprachen zu treffen, wie im Notfall zu handeln ist. Uns verbindet mit dem Hospizverein der Wunsch, schwer erkrankten und auch sterbenden Menschen eine bestmögliche Versorgung in vertrauter Umgebung zu ermöglichen, mit Lebensqualität und so selbstbestimmt wie möglich.
Wenn irgend möglich ist es wichtig, unnötige Krankenhausaufenthalte zu vermeiden, das zeigt die Erfahrung vieler Angehöriger eindeutig. Das ist nicht erst im Sterben so, aber dann besonders. Palliativkräfte vom RosenGarten und dem ambulanten Pflegedienst Mitten im Leben e.V., aber auch die enge Zusammenarbeit mit dem Hospizverein, machen dies möglich. Einer unserer wichtigsten Ansprechpartner bei DaSein e.V. ist Harald Witt, Palliative-Care-Fachkraft im Allgemeinen ambulanten Beratungsteam des Hospizdienstes. Mit ihm haben wir ein Gespräch geführt.
Petra Dahlemann: Wie kann der Verein DaSein Menschen helfen, die am Lebensende angekommen sind?
Harald Witt: Wir arbeiten in zwei Teams, der „Allgemeinen ambulanten Beratung“ und der „Spezialisierten ambulanten Versorgung SAPV“. Wir haben Pflegekräfte, Palliativ-Fachkräfte und Sozialarbeiter, und die SAPV-Kollegen haben zusätzlich noch Ärzte. Die „Spezialisierte ambulante Versorgung“ muss von den Hausärzten verordnet werden, Kostenträger sind die Krankenkassen. Es muss ein komplexes Symptomgeschehen da sein, mit besonders belastenden Symptomen wie Schmerzen oder Atemnot, die der Hausarzt nicht in den Griff bekommt. Und eigentlich sollte klar sein, dass die Menschen keine Therapie mehr in Anspruch nehmen, sonst kommt es dauernd zu Krankenhauseinweisungen. Man muss sich überlegen, ob man versucht, das Leben zu verlängern oder sogar die Krankheit zu heilen, oder ob es einem als krankem Menschen darum geht, bis zuletzt zuhause leben und dort gut versorgt sterben zu können.
Wir von der „Allgemeinen ambulanten Beratung“ arbeiten mit den Hausärzten zusammen, wir beraten sie auch, was die Kontrolle der Symptome angeht, also zum Beispiel die Schmerzbehandlung. Wir beraten auch sozialrechtlich und stellen die ehrenamtliche Begleitung auf. Zwischen beiden Teams sind die Übergänge fließend.

Wie ist denn der Gang der Dinge? Wendet sich die Familie von sich aus an Sie? Oder meldet sich das Krankenhaus?
Ganz verschieden. Mal meldet der Erkrankte selbst sich, die Angehörigen oder das Krankenhaus. Ein Pflegeheim oder ein Hausarzt. Jeder kann anrufen und wird beraten. Natürlich können wir bei Verschlechterung der Situation Patienten an das SAPV-Team vermitteln. Daneben gibt es noch die Ausbildung der Ehrenamtlichen in Kursen.
Der RosenGarten und der ambulante Pflegedienst „Mitten im Leben e.V.“, der die WGs bepflegt, kooperieren ja seit Jahren mit DaSein. Was geschieht in unserer Zusammenarbeit?
Wir haben große Ähnlichkeiten im Denken, im Blick auf die Menschen. Und wir haben eine ähnliche Arbeitsweise – „mit Herz“. Und es gibt die sogenannten Krisenpläne. Oft sind die Pflegenden und die an der Pflege Beteiligten in der Tagespflege oder in den WGs unsicher, wenn die Betroffenen gesundheitlich in schlechter Verfassung sind, von einem Krankenhaus nicht mehr profitieren würden, aber nichts geregelt und abgesprochen ist. Vielleicht weil die Angehörigen auch unsicher sind. Dann schauen wir den Betroffenen an, setzen uns mit den Angehörigen und jemandem vom RosenGarten oder den WGs zusammen und überlegen, welches Handeln im Notfall derjenige selbst gewünscht hätte. Es ist immer eine Kunst, die Wünsche des Betroffenen herauszufinden. In manchen Fällen gibt es keine schriftliche Willensbekundung. Dann versucht man herauszufinden, ob der Mensch sich in gesunden Tagen dazu geäußert hat. Wenn nicht, schaut man nach der medizinischen Indikation. Was würde passieren, wenn jemand ins Krankenhaus kommt? Was ist der bessere Weg – im Krankenhaus oder in der WG? Bei einer Demenzerkrankung ist ein Krankenhausaufenthalt mit viel Stress verbunden. Und deshalb sind die Therapieergebnisse oft schlecht. Das Quäntchen mehr im Krankenhaus wiegt den Stress nicht auf. Die Pflegekräfte im Krankenhaus haben gar nicht so viel Zeit, dass sie leisten könnten, was ein Demenzkranker an Pflege und Zuwendung braucht. Daher kommen viele Erkrankte in schlechterer Verfassung nach Hause oder in die WG zurück, als sie losgegangen sind. Wir gestalten also aus allen Informationen einen Krisenplan. Da steht die Krankheitsgeschichte drin, die Ist-Situation und was der Erkrankte von den Aktivitäten des täglichen Lebens her noch kann oder nicht. Wir stellen fest, ob es eine Patientenverfügung gibt. Und notieren, was daraus folgt. Dass zum Beispiel keine Einweisung ins Krankenhaus oder eine künstliche Ernährung erfolgen soll. Das Vorgehen gilt auch in Pflegeheimen. Dann hat man für die Pflegenden eine Klarheit. Aber das ist ein Prozess. Das erarbeiten wir mit den Angehörigen im Gespräch.
Wir haben einmal ein Seminar mit DaSein e.V. bei uns angeboten, das fand leider nur wenig Teilnehmende. Die Angst vor dem Thema scheint groß. Ist es für Menschen so, als würde man einen Priester rufen?
Manchmal werden wir von Angehörigen gebeten, gegenüber dem Kranken nicht zu sagen, dass wir vom Hospizdienst sind. Weil es diese Scheu gibt. Manchmal haben diese Scheu aber auch nur die Angehörigen und die Betroffenen gar nicht. Manchmal spielen wir das Spiel mit, manchmal sagen wir, wir kommen erst wieder, wenn Sie das klar kommunizieren. Es geht darum, die Lebensqualität zu verbessern, das ist unsere Aufgabe. Wir müssen nicht das Sterben organisieren, sondern wir sorgen für die bestmögliche Lebensqualität. Das ist ein anderer Blickwinkel. Die
Hoffnung ist doch immer da. Wenn ich eine Krebsdiagnose hätte, würde ich auch hoffen. Das ist menschlich. Da bin ich auch nicht so abgeklärt. Ich verstehe das so gut! Wenn jemand sagt: Ich will noch ans Meer fahren oder diese Therapie machen … also, ich finde wichtig, da mitzugehen. Ich kann mich an dieser Lebensenergie auch freuen. Ich würde niemanden stoppen, sondern Menschen bestärken.
Was macht der Beruf mit Ihnen? Was hat er Sie gelehrt?
Der Beruf ist schön. Ich sehe das bei mir immer vor dem Hintergrund, dass ich vorher fast 20 Jahre auf der Intensivstation gearbeitet habe. Da hatte ich oft das Gefühl: Jetzt übertreiben wir. Diese Therapie ist nicht mehr nützlich. – Vor diesem Hintergrund gesehen ist unsere Arbeit schon wichtig. Ich mag unsere Arbeit, auch wenn bei uns nicht alles wieder gut wird. Ich bin kein bisschen abgeklärt. Ich verdränge auch den Tod, genau wie alle anderen. Ich weiß nicht, ob es mich etwas gelehrt hat. Ich versuche ehrlich zu sein. Wir wissen alle erst, ob wir es gut hinbekommen, wenn wir so weit sind. Ich wünsche mir, dass ich es gut hinbekomme. Ich finde es berührend, wenn ich Menschen sehe, die gelassen sein können, die das aushalten können und ruhig und sehenden Auges ihr Leben abschließen können. Das ist inspirierend. Und es wäre schön, wenn ich es ansatzweise so schaffen könnte. Man weiß es einfach vorher nicht.
Haben Sie Tipps für uns, wie man leben sollte, damit man gut abschließen kann?
Ich glaube das Wichtigste ist, im Moment zu sein und ihn wertzuschätzen. Nicht die großen Dinge wertschätzen, sondern die kleinen: Dass man gehen kann. Dass man keine Schmerzen hat. Das ist ein Anfang.
Können wir über den „Willen des Erkrankten“ und die Patientenverfügung sprechen? Die Vollmacht „sticht“ die Patientenverfügung, oder?
Wir machen Beratung zur Patientenverfügung und informieren zur Vorsorgevollmacht. Die Vorsorgevollmacht ist das wichtigste Instrument und ein machtvolles Instrument. Man muss sich als Bevollmächtigter immer bewusst sein, dass es um den Willen des Vollmachtgebers geht. Und nicht um seinen eigenen Willen. Es ist aber nicht selten schwierig, wenn man eine geliebte Partnerin oder einen Partner nicht verlieren will. Man muss aber trotzdem drüber nachdenken. Und in gesunden Tagen sollte sich der Vollmachtgeber überlegen: Habe ich zu dem Menschen, den ich bevollmächtigen möchte, hundertprozentiges Vertrauen? Würde ich dieser Person den Wohnungsschlüssel geben? Die Patientenverfügung ist nur eine Unterstützung des Bevollmächtigten, denn er könnte dann sagen, ich weiß, was die Partnerin, der Partner wünscht, wir haben über alles gesprochen. Man sollte dieses Gespräch in gesunden Tagen führen und auch tief einsteigen: Was wünsche ich mir, was sollte da sein … reden, reden, reden. Und später könnte der Bevollmächtigte sagen: Wir haben nicht nur über alles gesprochen, ich habe es auch schriftlich. Aber nun gibt es gerade im Fall der Demenz oft keine Vollmacht. Bis zu dem Tag, an dem die Demenz schon da ist. Möglicherweise sagt der Erkrankte noch: Ich möchte, dass mein Ehepartner die Vollmacht bekommt. Das Wie und Warum lässt sich im Gespräch nicht mehr klären. Und da fangen dann die Unschärfen an, dass im Ernstfall nicht die Wünsche des Erkrankten umgesetzt werden, sondern die des Angehörigen. Wenn wir einen Krisenplan erstellen, erinnern wir daran, was die Funktion der Vorsorgevollmacht ist. Man muss sich selbst zurücknehmen und fragen: Was möchte mein geliebter Lebenspartner gerne? Das ist manchmal schwierig. Wenn das aber nicht geklärt ist, können Situationen entstehen, die nicht im Sinne des Erkrankten sind.
Ich verstehe manchmal nicht, warum Angehörige, die durch die Pflege an die Grenzen ihrer Leidensfähigkeit gekommen sind, ihren Erkrankten so schwer loslassen können.
Vielleicht möchten Angehörigen nach so vielen Jahren der Pflege sichergehen, dass er in einer Einrichtung genauso und so gut gepflegt wird wie daheim. Die häusliche Pflege ist oft gut und Angehörige können kritisch und detailversessen reagieren, wenn woanders gepflegt wird. Da geht es sogar um gebügelte Hemden. Jedes Detail kann dazu führen, dass weitreichende Entscheidungen gefällt werden, wie dass jemand wieder aus dem RosenGarten genommen wird, weil es mit der Wäsche nicht hundertprozentig klappt. Für den Kranken selbst sind das sicher untergeordnete Gesichtspunkte. Es ist manchmal schwer zu verstehen.
Wir als Angehörige wissen wahrscheinlich oft gar nicht, was ein Sterbender braucht, oder?
Manchmal sind wir machtlos. Wir können beraten. Aber wir leben in dem Wissen, dass unsere Beratung oft nicht angenommen wird. Bei Demenzkranken ist es zum Beispiel oft schwierig einzuschätzen, ob sie Schmerzen haben. Wir waren neulich bei einem Erkrankten, bei dem wir sicher waren, dass er Schmerzen hat. Er war verspannt und gekrümmt und so habe ich empfohlen, dass man es nochmal mit einem Schmerzmittel versucht. Wenn er sich entspannen würde, wäre das ein sicherer Hinweis. Die Angehörige hat dann mit dem Hausarzt Rücksprache genommen, der fand den Vorschlag gut. Aber die Angehörige meinte, sie habe ihren Mann beobachtet und sei der Meinung, er habe keine Schmerzen und so wurde auch kein Schmerzmittel gegeben. Also, das ist eben bei uns so. Es ist Teil unserer Arbeit, an Grenzen zu stoßen. Wenn man im stationären Bereich so eine Situation erlebt, ist es noch viel schwerer.
Was sind denn typische Irrtümer übers Sterben? Worauf könnte man achten und was lieber lassen – auch als ehrenamtlicher Helfer, der in eine Familie kommt?
Aufnehmen, was gerade gewünscht und gebraucht wird und bloß nicht mit
so vielen vorgefassten Vorstellungen hineingehen. Eine Agenda zu haben, ist gefährlich. Manche haben die Idee, dass man unbedingt zusammen beten müsste oder so etwas. Wir sind so verschieden, nicht alle Menschen wollen beten. Es kann mal passen, aber meistens passt es nicht. Die Sterbephase ist oft ein schwieriger Prozess, das muss man verstehen. Der Sterbende reagiert nicht so, wie man üblicherweise reagieren würde. Viele Menschen sind angespannt oder unruhig und völlig verwirrt. Manchmal sage ich zu Angehörigen: Sterben kann wie eine Geburt sein, es ist nicht unbedingt ein einfacher Prozess, sondern ein Kampf. Und man sollte sich das nicht immer so friedlich vorstellen, dass man die Hand des Sterbenden hält und der gleitet dann sanft hinüber – das ist eher unrealistisch. Gerade für die Angehörigen ist es oft traumatisch, weil die Sterbephase nicht aussieht wie im Film: Ein Mensch liegt wie schlafend im Bett und tut seinen letzten Atemzug. Nein. Gerade in den letzten Wochen verändert sich der Mensch nochmal sehr. Nach einer langwierigen Krebserkrankung wirken Menschen oft ausgezehrt. Ein Begleitender muss manchmal etwas aushalten und das ist nicht immer einfach.
Dann wäre es vielleicht für die Angehörigen auch ein Rat, in dieser Zeit gut auf sich selbst zu achten. Sich Pausen zu gönnen und sich nicht so viel abzuverlangen.
Man sollte mindestens eine weitere Person haben, die die Situation mitträgt. Dass man nicht allein ist. Eine Freundin. Ein Sohn, eine Tochter, jemanden aus der Familie. Wenn man jemanden an seiner Seite hat, ist das sehr hilfreich.
Sie bilden auch Ehrenamtliche aus …
Die Ausbildung ist zweiteilig. Im ersten Teil beschäftigt man sich mit der eigenen Sterblichkeit. Wenn man sich nie mit der eigenen Endlichkeit auseinandergesetzt hat, ist es schwierig, sich mit der Endlichkeit von anderen zu beschäftigen und hilfreich zu sein. Immer wenn
man an ein Sterbebett kommt, wird man an die eigene Sterblichkeit erinnert. Ob man sich dessen bewusst ist oder nicht. Man kann den ersten Ausbildungsabschnitt auch nur für sich nutzen, ohne dass man an eine ehrenamtliche Tätigkeit denkt. Erst im zweiten Teil lernen zukünftige Hospizbegleiter, wie die Praxis aussieht. Wie gehe ich in die Situation mit einem Sterbenden? Da geht es darum, dass man erspürt, was gerade wichtig ist und was nicht.
Wie früh darf man Sie kontaktieren?
Man kann uns immer kontaktieren. Wenn man Sorgen oder Fragen hat oder wenn sich eine Situation verschlechtert. Oder wenn man sich einfach informieren möchte. Sie können eine Veranstaltung bei uns besuchen oder anrufen. Es kann eine Beruhigung sein, mit uns zu sprechen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Witt.
Hier weitere Tipps für Sie:
Hospizverein DaSein e.V.
Beratung und ambulante Palliativversorgung
Karlstr. 55, 1.Stock, 80333 München Tel 089 -124 705140, info@hospiz-da-sein.de
www.hospiz-da-sein.de